Freitag, 22. Juli 2011

Philip Roth - Nemesis

Im Sommer 1944 plagt die Bürger von Newark im Staate New Jersey eine schier unerträgliche Hitze. Es sind Ferien, und diejenigen, die es sich leisten können, verbringen die Zeit an der See. Die anderen bleiben zu Hause. Eugene „Bucky“ Cantor“ ist ein junger Sportlehrer, der wegen seiner Sehschwäche nicht in den Krieg ziehen darf. Stattdessen beaufsichtigt er die spielenden Kinder und Jugendlichen auf dem heimischen Sportplatz im jüdischen Stadtteil Weequalic. In der Ferne, an der Front im Zweiten Weltkrieg, sterben Soldaten, und in Newark greift eine Polio-Epidemie um sich, die mit zunehmender Intensität die ersten Todesfälle in der Heimat fordert. Betroffen davon sind auch Jugendliche, über die „Bucky „Cantor die Aufsicht führt... 

In diesem Buch beweist Philip Roth erneut, dass er zu den wichtigsten Gegenwartsautoren aus den USA gehört. Er zeichnet mit „Bucky“ Cantor einen Charakter, der die Grundlage für alle weiteren und wichtigen Aussagen in diesem Buch bildet. Aufgewachsen bei seinen Großeltern, weil die Mutter bei der Geburt verstarb und der Vater wegen Geldunterschlagung die Familie verlassen musste, entwickelt er ein regelgerechtes Pflichtbewusstsein. Er kommt aus recht ärmlichen Verhältnissen und träumt, wie viele andere Menschen auch, durch redliche Arbeit von einem eigenen Haus mit Garten. Der Autor zeigt allerdings auf, dass ein übertriebenes Pflichtbewusstsein einen Menschen durchaus schwächen kann. Ein Gewissen zu haben ist wunderbar, allerdings nur so lange es nicht dazu führt, dass man sich für etwas verantwortlich macht, was man keinesfalls zu verantworten hat. 

Und es steht natürlich die Frage im Raum, auch von den Hinterbliebenen von Polio-Opfern, warum und wieso gerade dieser Junge oder dieses Mädchen, warum ausgerechnet unser Sohn oder unsere Tochter? Gibt es im Leben Gerechtigkeit? Wohl eher nicht, so deute ich Philip Roth‘ seine Antwort im Roman. Der Autor geht sogar noch einen Schritt weiter. Es geht um das persönliche Verhältnis zu Gott. Wie kann Gott es zulassen, dass so eine, damals noch unbezwingbare Krankheit über die Menschen herfällt und seine Opfer fordert? Ist die eigene Bildung von beinahe Hassgefühlen gegenüber Gott mit dem Gewissen noch vereinbar und ist es zulässig, Gott für das Unheil verantwortlich zu machen? Was „Bucky“ Cantor über weite Strecken in „Nemesis“ in seinem Umfeld erlebt und verarbeitet, weitet sich gegen Ende zu einer persönlichen Tragödie für den Protagonisten aus. Eine intelligente nochmalige Zusammenfassung der aufgezeigten Problematiken über persönliches Schicksal und den Fragen nach Gewissen, Gerechtigkeit und dem Verhältnis zu Gott.  Hätte „Bucky“ Cantor wegen seines Verantwortungsbewusstseins anders handeln müssen?

Die Sprache von Roth ist in diesem Roman sanft und weich, und dennoch sehr eindringlich. Niemals überanstrengend und vollkommen strukturiert werden die Problemfelder aufgezeigt und auf beeindruckende Art und Weise in die Geschichte eingebunden. Die Polio mag in den zivilisierten Industriestaaten keine Rolle mehr spielen, der Weltkrieg ist längst beendet und die Spuren weitestgehend beseitigt, alles andere in diesem Roman ist aktueller denn je. In einer Welt, in der sich täglich Tragödien ereignen, Menschen dabei ums Leben kommen oder unerträgliches Leid erfahren. Von denen, die mit ihrem persönlichen Schicksal hadern gar nicht zu reden. Ist der eigene Zorn gerecht? Weltliteratur!

ISBN-10: 3446236422
ISBN-13: 978-3446236424
220 Seiten
erschienen am 07. Februar 2011
Carl Hanser Verlag

2 Kommentare:

  1. Kurz und gut beschrieben, stimme vollkommen zu. Ich mag an dem Buch die starken und schön beschriebenen Schauplätze und des Wetters. Am Ende leider etwas bitter, aber trotzdem: Uneingeschränkte Empfehlung!

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  2. Hallo lieber Bernhard,

    ich danke für Deinen Kommentar!

    Viele Grüße,
    Jogi

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