Freitag, 16. Dezember 2011

Siobhan Dowd/Patrick Ness - Sieben Minuten nach Mitternacht


Dieses Buch trägt schon in seiner Entstehung eine Tragik in sich. Siobhan Dowd, die erst im Alter von 46 Jahren ihren Debütroman „Ein reiner Schrei“ veröffentlichte, erlebte nur noch die Publikation ihres zweiten Werkes. Ein Buch, welches nach ihrer Idee entstand, sie es aber nicht mehr selbst schreiben konnte. Sie erlag mit 47 Jahren ihrem Krebsleiden. Patrick Ness, der auch als Literaturkritiker in London für die Tageszeitung „The Guardian“ tätig ist, schrieb „Sieben Minuten nach Mitternacht“, in dem er sich an dem vorgegebenen Gedankengerüst von Siobhan Dowd entlang hangelte. Das Ergebnis ist ein brillanter, äußerst atmosphärischer, nachdenklich stimmender Jugendroman.

Im Mittelpunkt steht Conor, ein 11-jähriger Junge, dessen Mutter an Krebs erkrankt ist und mit der er alleine lebt, da sein Vater inzwischen eine neue Familie gegründet hat und in den USA wohnt. Conor ist mit fortschreitender Dauer mehr und mehr auf sich selbst gestellt, da die Behandlungen seine Mutter schwer beeinträchtigen. Jede Nacht, um „Sieben Minuten nach Mitternacht“ erscheint das Monsters und tritt in das Leben von Conor ein. Der Junge steckt nicht voller Angst, nicht im Ansatz eingeschüchtert tritt er dem Monster entgegen, welches voller Weisheiten und brauchbaren Lebenseinstellungen steckt.

Dies ist kein Märchen, dies ist kein Fantasyroman, und somit sei verraten, dass das Monster nicht in der Lage ist, die Mutter von Conor auf wunderbarer Weise zu heilen. Aber es ist in der Lage, dem Jungen das Leben zu erklären und ihm klar zu machen, dass man die Herausforderungen annehmen muss. Um zu erfahren, wie das geht, muss Conor, ob er will oder nicht, mit dem Monster auf die Reise gehen…

Die wunderschönen Illustrationen stammen übrigens von Jim Kay. Sie sind eine Sammlung von Klecksen, Schlieren und Flecken, die mit Zeichnungen und Malereien zusammen gefügt sind.

Ohne Frage ein Jugendroman, der das Zeug dazu hat, Standardlektüre für diese Generation zu werden. Für Kinder nicht ganz so gut geeignet. Nicht, weil der Inhalt anstößig sein könnte, sondern weil sie die wesentlichen und treffenden Aussagen wohl noch nicht verstehen werden.

ISBN-10: 3570153746
ISBN-13: 979-3570153741
216 Seiten
erschienen am 29. August 2011
cbj

Freitag, 9. Dezember 2011

Jón Kalman Stefánsson - Der Schmerz der Engel

Jón Kalman Stefánsson nimmt uns mit auf eine Reise in Richtung des nördlichen Polarkreises. Island, die Insel im Nordatlantik, im Winter eisig kalt, mit rauen Naturgewalten, bergig und für einen Mitteleuropäer einsam. Menschen, die auf sich selbst gestellt sind, mit eigenen Spielregeln, an denen sich ihr Leben orientiert. Hart und grenzwertig.

Ein Junge, ein Waisenkind, und der Landbriefträger Jens begeben sich auf eine Postreise. Sie stemmen sich gegen die Naturgewalten, immer nah ab Abgrund und vor allen Dingen auf einem ganz schmalen Grat zwischen Leben und Tod. Island pur? Der Autor zeichnet für mich ein Bild eines zwar unwiderstehlichen, aber auch kaum zu bezwingenden Landes, welches durch die mehr oder weniger abschreckenden, aber faszinierenden  Beschreibungen Ehrfurcht einflößt, Respekt einfordert, aber auch auf der anderen Seite eine Menge an Sympathie und Liebenswürdigkeiten beim Leser hervorruft.

Dem werden insbesondere auch die Charaktere der Protagonisten gerecht. Der Junge, schon belesen und deswegen ein bisschen weiser als sein großer, lebenserfahrener Hüne. Der hingegen strotzt nur so vor Energie, kann hart und unversöhnlich mit sich selbst sein, und wirkt dennoch im späteren Verlauf der Geschichte auf den jungen Begleiter etwas angewiesen. Am Rande kann man erahnen, dass auch das Thema Freundschaft eine wichtige Rolle spielt. Mehr aber ist es die gegenseitige Verlässlichkeit, auf die es im Kampf gegen die Naturgewalten ankommt.

Dieses Buch ist zudem ein kleiner Gesellschaftsroman, wenn auch nur fast ausschließlich im ersten Teil des Buches. Der Einfluss der Kaufleute, die gesellschaftliche Stellung einer Arztfamilie, die Rolle der Frau in der isländischen hierarchischen Gesellschaftsstruktur und, man höre und staune, die Literatur selbst, sind interessante Aspekte, die dem Leser nahe gebracht werden. Das Ganze ginge natürlich noch viel intensiver und ausführlicher, so dass die beschriebene Reise und ihre Strapazen im zweiten Teil dieses Werkes und die damit verbundenen Inhaltsstoffe wahrlich bewusst, manchmal etwas ausufernd, von Stefánsson mehr in den Mittelpunkt gerückt wurden.

Das Buch liest sich nicht immer leicht. Dies stellt kein Problem dar, denn der Autor schafft es mit seiner intensiven, aber sanften Ausdruckskraft schnell, den Leser in den Geschehensablauf hinein zu ziehen. Fern ab von einem gewöhnlichen, aber unterhaltenden Actionroman wird man Zeuge eines Überlebenskampfes gegen die Gewalten der Natur, von zwei „Männern“, die nicht unterschiedlicher sein könnten. Sehr lesenswert!

ISBN-10: 3492053904
ISBN-13: 978-3492053907
343 Seiten
erschienen im September 2011
Piper