Samstag, 25. Juni 2011

Herta Müller - Atemschaukel

Wenn für Romane der Nobelpreis für Literatur vergeben wird, dann bin ich eigentlich immer skeptisch. Zwar sind die Kriterien für die Vergabe definiert, aber trotzdem erschließen sich mir die entscheidenden Aspekte, die zur Vergabe geführt haben, nur selten. Wenn eine deutsche Schriftstellerin diesen Preis bekommt (2009), werde ich neugierig und in diesem Fall war das Buch für mich ein persönlicher Gewinn. Herta Müller stammt ursprünglich aus Rumänien und sie hat ein wichtiges Thema aufgegriffen. Nüchtern betrachtet lautet es wie folgt:

Ich: Leopold Auberg, 17 Jahre alt, schwul und komme aus Hermannstadt. 
Lagername: Nowo-Gorlowka in der Ukraine
Bataillon: Nr. 1009
Arbeitsnummer: 756
Mein Problem: Hunger, ähm Atemschaukel

Dieses Buch, mit sprachlicher Gewalt, erinnert daran, dass es im Jahr 1945 eine groß angelegte und systematische Deportation von Rumäniendeutschen in russische Arbeitslager gab. Alle im Alter von 17 bis 45 Jahren sollten in Arbeitslagern untergebracht werden und die Zerstörungen in der Sowjetunion wieder aufbauen. Und selbst, wenn man früh weiß, dass Leo Auberg die Strapazen überlebt, bangt man die gesamte Buchlänge mit ihm. In den Kapiteln erinnert sich der Protagonist seiner selbst und zahlreicher Mitinsassen. Dabei stellt  er auf ergreifende Art und Weise Schicksale dar. Im Lager stirbt man im Winter an der Kälte und im Sommer an den Epidemien. Doch das Schlimmste, was einem passieren kann, ist wohl der Hunger. Atemschaukel, das ist Hunger. Einzige wirkliche Nahrung: Die Erinnerung an Sätze wie die der Großmutter „Ich weiß, Du kommst wieder“.

Und wenn jemand, obwohl er unterernährt ist, arbeiten will (muss), weil es ihn friert, dann zeigt dies ein ungeahntes Ausmaß an Leid, welches die Menschen ertragen mussten. Das man daraus lernt, ist klar. Dieser Roman beinhaltet Aussagen, die mit unbeschreiblicher Wucht daher kommen. Wenn man als Mensch in Not ist und ums Überleben kämpft, dann kann es soweit kommen, dass man dem jeweiligen Mitleidenden nichts mehr abgibt, weil es für diesen keinen Sinn mehr macht. Zumeist sind es Menschen, die auf Grund des Hungers unmittelbar vor dem Sterben stehen. Es sind nur noch Kreaturen, die ein Stück Holz mit einem Stück Brot verwechseln. Und noch etwas: Wenn man die Kleidung eines Toten benötigt, wenn man ein aufgespartes Stück Brot eines Toten nimmt, dann ist der Tot sogar ein Gewinn! Wobei die Betrachtungsweise einseitig ist.

Der Roman „Atemschaukel“ beschreibt den Kampf des Einzelnen, nicht den Zusammenhalt im Lager. Es ist die Hoffnung, selbst nicht der/die nächste zu sein. So relevant der Sachverhalt ist, so überzeugend ist die verwendete Sprache der Autorin. Mit jeder gelesenen Seite wird dem Leser klar, dass hier große Schule verabreicht wird. Weltliteratur, für uns Deutsche sowieso! Ein Buch, welches Herta Müller ursprünglich mit Oskar Pastior gemeinsam schreiben wollte, der allerdings zuvor verstarb. Die Geschichte beruht auf Teilen von Erinnerungen des Lyrikers Pastior. 

ISBN-10: 3446233911
ISBN-13: 978-3446233911
304 Seiten
erschienen am 17. August 2009
Carl Hanser Verlag GmbH

Donnerstag, 23. Juni 2011

Arno Geiger - Der alte König in seinem Exil

Es stand schon lange fest, dass ich die Geschichte des österreichischen Schriftstellers Arno Geiger und seinem Vater August, der im Alter an Demenz erkrankt ist, lesen wollte. Und ich habe es nicht bereut. Was das Buch allerdings so lange auf der Spiegel-Bestsellerliste „Belletristik“ zu suchen hat, wird ein Geheimnis bleiben, denn es handelt sich ohne Frage um ein Sachbuch, eine Autobiografie.

Das Arno Geiger einen tollen Schreibstil pflegt, war mir seit „Alles über Sally“ klar. In „Der alte König in seinem Exil“ kommt noch ein kleiner Schuss an Emotion hinzu, berichtet der Autor aus seinem intimen Familienleben. Der Vater, der 26 Jahre im Gemeindeamt Wolfurt, Vorarlberg in Österreich, gearbeitet hat, kennt sich plötzlich im eigenen Haus, welches er vor 50 Jahren selbst geschaffen hat, nicht mehr aus. Die Ursache: Alzheimer Krankheit. Wir werden Zeuge, wie sich das Verhalten von August Geiger in über 10 Jahren andauernder Krankheit verändert und vor allen Dingen erfahren wir, welche enormen Auswirkungen diese auf das persönliche Umfeld, hier in erster Linie die Familie, hat. 

Arno Geiger beschreibt rückblickend und detailliert, wie er sich im Zuge des Erwachsenwerdens immer mehr von seinem Vater entfernte, und bedingt durch die Krankheit eine neue Freundschaft zu ihm schloss. Hochs und Tiefs bestimmen die lange währende Krankheit, doch das Wesentliche, was man aus diesem Tatsachenbericht ziehen kann, ist die Erkenntnis, dass der Umgang mit einem an Demenz erkrankten Menschen den Verstand schärft, und das Einfühlungsvermögen sowie Phantasie gefordert sind. Wer die Betreuung erfolgreich absolviert, der wird nicht zu Unrecht von Felix Hartlaub als ein „staatlich geprüfter Seiltänzer“ bezeichnet (Zitat s. S. 119). Der Vater lebt in seinem Exil, das heißt in seiner eigenen ungeordneten Welt, am liebsten an einem Ort, an dem er sich geborgen fühlt. In schwierigen Dialogen mit dem Erkrankten muss man sich daran erinnern, dass hier nicht mehr der Mensch, den man kennt, sondern die Krankheit mit einem spricht. Und genau dies führt sehr oft dazu, dass Betreuende schnell an ihre Belastungsgrenze geraten.

Insbesondere die aufgezeichneten Konversationen bringen ein bisschen Komik mit sich. Die Antwort hierfür liefert Arno Geiger auf S. 103 selbst. Wenn die Schwester die Zeilen des Skriptes liest, muss sie schmunzeln, merkt aber im selben Moment an, dass die Wirklichkeit ein Horror ist. Und noch eine mögliche Antwort liefert Arno Geiger in Bezug auf eine Entscheidung, die leider viele Angehörige früher oder später treffen müssen: Wenn eine Betreuung auf einem notwendigen Niveau nicht mehr möglich ist, und man die Entscheidung treffen muss, den Patienten in ein Pflegeheim zu geben, dann kann das einer persönlichen Niederlage gleichen. Und schließlich: Es ist die Aufgabe der Eltern, den eigenen Kindern etwas beizubringen. Das Letzte, was sie einem zeigen, ist, wie es ist, wenn man alt und krank ist.

„Der alte König in seinem Exil“ ist sicherlich berührend, interessant sowieso, aber es ist auch eine Art Lehrstück für unsere immer schneller, und daher auch oberflächlicher werdende Gesellschaft. Demenz ist bis dato nicht heilbar, sondern bleibt bis auf weiteres eine schwere Belastung. Als Quintessenz aus diesem Buch ist die Demenz aber auch eine Verpflichtung, sich daran zu erinnern, wem man viel zu verdanken hat. Ein trauriger, aber auch wichtiger Abschnitt aus einer Vater-Sohn-Beziehung!

ISBN-10: 9783446236349
ISBN-13: 978-3446236349
189 Seiten
erschienen am 07. Februar 2011
Carl Hanser Verlag GmbH

Am 29. April 2011 verstarb mein Patenonkel, der an schwerer Altersdemenz erkrankt war. Ruhe in Frieden!

Montag, 20. Juni 2011

Donnerstag, 16. Juni 2011

Kerstin Ekman - Tagebuch eines Mörders

Kerstin Ekman, ohne Frage eine der bedeutendsten schwedischen Autoren, entführt den Leser in das Stockholm zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Eine Zeit, in der man mit der Konfirmation als erwachsen galt und in der die Psychiatrie noch „als moderne Modewissenschaft“ abgetan wurde. Wenn Frauen sich auf Stellen bewarben und somit dem männlichen Pendant diese streitig machten, so war „dies ein Ausdruck schlecht verwalteter Staatsfinanzen“. Die Tatsache, dass der schwedische Schriftsteller Hjalmar Söderberg für seinen Roman „Dr. Glas“ aus dem Jahr 1905 heftigste Kritiken hatte einstecken müssen, greift Kerstin Ekman hier als eine Art Einstieg und vor allen Dingen tatsächlichen Hintergrund auf (s. auch Kerstin Ekmans Nachbemerkung ab S. 240).

Pontus Revinge ist Arzt, ein mehr oder weniger schlechter Arzt, den sein Selbstbild trügt. Revinges niedergeschriebene Notizen sind das Tagebuch eines Mörders. Er trifft bei einem (erfundenen) Treffen mit dem Schriftsteller Hjalmar Söderberg diesem gegenüber die Aussage, dass eine Zyankali-Kapsel die Möglichkeit des perfekten, nicht aufklärbaren Mordes bietet. Und es gilt „Leben ist Handlung“. Und so tötet er selbst seinen Arbeitgeber mittels einer Zyankali-Kapsel, heiratet dessen Frau und Witwe und bekommt im weiteren Verlauf eine unüberwindbare, fast panische Angst vor einer Obduktion des Getöteten. Gepeinigt von dieser Angst ist Revinge fortan mit steigender Intensität und stetig zunehmenden Angst auf der Suche nach Moral und einer Antwort auf die Frage nach der Schuld für eigenes Handeln, denn er beging seine Tat mehr oder weniger „unabsichtlich“ und er ist sich nicht sicher, ob das, „was geschah, wert ist, Mord genannt zu werden“. Hinzu kommt, dass Pontus Revinge der festen Überzeugung ist, dass ihm Hjalmar Söderberg für seinen Tipp für dessen Roman  zu Dank verpflichtet ist. Es scheint absurd, wie seine spätere Erwartungshaltung ist. 

Dieses Buch ist AUCH ein Krimi und es bleibt bis zuletzt offen, ob dieser Fall geklärt wird oder nicht. Doch die Aufzeichnungen von Revinge sind mehr als das. Sie sind ein Psychogramm eines Menschen, der nach vielem strebt, kaum etwas auf dem für unser heutiges Verständnis gängigen Weg erreicht, der ein gestörtes Verhältnis zu erwachsenen Frauen hat, die Witwentochter jedoch liebt. „Eine Frau ist nichts anderes als eine blutende Wunde. Blutet diese nicht mehr, ist die Frau geschlechtslos“, so die brutale Sichtweise über Frauen und somit für den Leser in diesem Roman das Weltbild des Protagonisten von der weiblichen Zunft. Kerstin Ekman erleichtert es uns etwas, dies zu erkennen, da Revinge später mit der jungen, aber modernen Nachwuchsärztin Ida Tjenning konfrontiert wird, die ihm zwar auf die Schliche kommt, die Tat jedoch nicht beweisen kann.

Fazit: Die altmodische, jedoch nicht schwierige Sprache erfordert Aufmerksamkeit vom Leser. Und momentan habe ich das Gefühl, dass ich das Buch noch mindestens ein zweites Mal lesen muss und auch will, um noch mehr zu verstehen, was ausgedrückt und beschrieben werden sollte. Dieser Roman hat mich sehr beeindruckt. Dies ist ein großartiges Buch. Aber es ist für MICH auch ein literarisches Schwergewicht. Große und anspruchsvolle Literatur!

ISBN-10: 9783492054270
ISBN-13: 978-3492054270
erschienen im Februar 2011
256 Seiten
Piper Verlag

Sonntag, 12. Juni 2011

Antonia Michaelis - Der Märchenerzähler



Als Anna zum ersten Mal Abel Tannatek begegnet, da ist die Welt weitestgehend in Ordnung. Sie ist sich sicher, dass sie unmittelbar nach dem Abitur nach England möchte, um dort zu studieren. Doch zuerst muss das Abi bestanden werden. Anna kommt aus gutem Haus, ohne Sorgen und Geldnöte. In der Schule trifft sie auf Abel, einem Außenseiter, genannt der polnische Kurzwarenhändler, weil er offenbar Drogen vertickt, stets zu spät in den Unterricht kommt, die Musik von Leonard Cohen hört, eine schwarze Mütze und ein T-Shirt mit der Aufschrift der Bösen Onkelz trägt und in einem Plattenbau in Greifswald wohnt. Schnell stellt sich heraus, dass der Junge einen vollkommen eigenen Weg geht und sich trotzdem rührend um seine kleine Schwester Micha kümmert, weil die Mutter Michelle für längere Zeit verreist ist und der Vater nicht mehr zu Hause wohnt. Anna und Abel können unterschiedlicher kaum sein!

Abel erzählt seiner Schwester ein Märchen: Von der Klippenkönigin, die sich gerade noch vor dem Untergang ihrer Insel retten kann und sich fortan, in Begleitung ständig neuer Figuren auf einem Schiff auf der Flucht befindet, um das rettende Festland zu erreichen.

Anna und Abel kommen sich näher und es dauert nicht lange, dass Anna dem Märchenerzähler und seiner Geschichte beiwohnen darf. Und ebenso schnell wird klar, dass die Übergänge des Märchens und die der Wirklichkeit fließend sind. Nur so viel sei noch verraten: Es sterben Menschen und es ist für den Leser überhaupt nicht ersichtlich, wer denn nun der Täter ist. Motive gibt es genügend, und auch der Verdacht gegen einzelne Personen lässt den einen oder anderen Schluss zu.

Was sich hier entwickelt, ist spannend und herzergreifend zugleich. In einem wirklich mutig leichten Stil empfinde ich Antonia Michaelis‘ Erzählkunst auffordernd und einladend, möglichst zügig dieser großartigen Story beizuwohnen. Man merkt, dass die Autorin eigentlich noch „Eine von dieser Welt ist“. Nie den Haupthandlungszweig aus den Augen verlierend beschreibt sie die tatsächliche Welt unserer Schüler und Schülerinnen. Da werden Hakenkreuze auf Schilder vor der Grundschule gesprüht und gestohlene Fahrräder nach dem unbefugten Gebrauch irgendwo auf gehangen, dazu lungern Betrunkene auf einem Netto-Parkplatz herum. Sie vermittelt Einsichten „Wenn man sich ein Leben lang kennt, kann man einander auch im Dunkeln sehen“ sowie „arm bleibt arm und reich bleibt reich“. Und es steht die Frage im Raum „was interessiert das Sozialamt wirklich, wenn es um die Vergabe eines etwaigen Sorgerechts geht?“. Sie macht Hoffnung, dass es sich bei der heutigen Jugend nicht um die sog. „Generation Doof“ handelt, denn die gezeigten Charaktere diskutieren über den Einsatz der deutschen Soldaten in Afghanistan, über den kontrollierten Beschuss von Wild in unseren Wäldern und sehen die Massentierhaltung kritisch.

Dieses Buch ist anders, als man es wahrscheinlich gewohnt ist. Es gelingt der Autorin Märchen und Realität miteinander zu verweben. Und vergehen die ersten ca. 300 Seiten schon recht ansprechend, so nimmt die Geschichte auf den weiteren 150 Seiten nochmals richtig Fahrt auf, mit einem Ende, welches selbst einen hartgesottenen Leser in Sachen Emotionalität auf die Probe stellt. Ich möchte Antonia Michaelis noch nicht zu sehr hoch leben lassen, doch dieser Roman lässt mich vermuten, dass sehr großes Potenzial in der Autorin steckt. Ich warte den nächsten Roman ab. Sie hat mit „Der Märchenerzähler“ die Trauben ganz weit nach oben gehängt. Das ist ein großartiger Roman für Jugendliche und Erwachsene.

ISBN-10: 9783789142895
ISBN-13: 978-3789142895
erschienen im Februar 2011
446 Seiten
Oetinger Verlag

Donnerstag, 9. Juni 2011

Patrick Süskind - Das Parfum _ Die Geschichte eines Mörders





Wie sieht ein Kindsmord in Paris in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts aus? Jean Baptiste Grenouille kommt an einem Fischstand zur Welt, seine Mutter trennt die Nabelschnur und lässt den Säugling zwischen den Fischresten unterhalb des Tisches liegen. Das Kind trägt keinen Geruch an sich selbst, doch werden Düfte und Gerüche das weitere Leben bestimmen. Der ausgeprägte Geruchssinn des Protagonisten und das Streben zum größten und erfolgreichsten Parfumeur Frankreichs aufzusteigen, kostet Menschen das Leben und zeigt auf, wie ein Außenseiter in der Gesellschaft zu Ruhm und Ehre kommen kann, weil er mit seinem Schaffen andere bedient, die ausschließlich auf sich selbst bedacht und dazu bereit sind, zum eigenen Wohle über sog. Leichen zu gehen.

Der Autor lässt uns am Leben eines Außenseiters teilhaben, einem Menschen mit Fehlern, die sich aus den außergewöhnlichen Fähigkeiten des Geruchssinns ergeben. Ein von den Mitmenschen kaum feststellbarer Ehrgeiz und ein über das gewöhnliche Maß hinausgehendes Durchhaltevermögen treiben Grenouille an, seine Ziele zu erreichen. Wir tauchen ein in ein Paris, in dem Sklaverei von Menschen einer anderen Klasse als sozial adäquat galt und in dem sich der Status eines Menschen in der Gesellschaft aus allem ergibt, nur nicht aus eigener und ehrlicher Schaffenskraft. Sich mit fremden Federn zu schmücken ist nicht nur en vogue, sondern für viele die einzige Möglichkeit, sich Gehör und Anerkennung zu verschaffen.

Dieses Buch mag in weiten Teilen gesellschaftskritisch erscheinen, aber ich empfinde es nicht als Abrechnung mit der französischen Hauptstadt und den damals dort lebenden Menschen. Und noch weniger sehe ich „Das Parfum“ als einen historischen Roman. Die Gegebenheiten sind der notwendige Rahmen, um das kurze Leben von Grenouille auf beeindruckende Art und Weise darzustellen. Wie viele davon Fiktion sind? Keine Ahnung, aber hier werden auch Grenzen aufgezeigt, bei denen sich beim Überschreiten nachvollziehbar erklärt, warum jemand den Rückzug antritt, um sich in Einsamkeit und Abgeschiedenheit selbst zu reinigen. Das Parfum und der Geruchssinn, exemplarisch als Maske, hinter der sich eigentlich eine menschliche Tragödie abspielt, weil es anderweitig nicht möglich wäre, Anerkennung in der Gesellschaft zu finden.

Sprachlich kann ich diesen Roman nicht einordnen, es ist ein Spagat zwischen der Moderne des 20. Jahrhunderts (1985) und antiquarischen Sprachfetzen, insbesondere von Grenouille, aber auch von dem gemeinen Volk in Paris des 18. Jahrhunderts. Irgendwie erscheinen mir manche Begriffe mehr auf die Handlung zugeschnitten, als das die verwendete Sprache ein wirkliches Abbild dessen ist, wie man sich zur damaligen Zeit wirklich artikuliert hatte. 
Ich mache mir für gewöhnlich wenige Gedanken über Cover. Aber die Tatsache, dass sich auf der Vorderseite ein Ausschnitt aus dem Gemälde „Jupiter und Antiope“ von Antoine Watteau befindet, ist durchaus erwähnenswert, gilt die nackte Achsel der schlafenden Antiope doch als Sinnbild der duftenden Verführung (Quelle: wikipedia).

Fazit: Trüge jeder Krimi, denn immerhin beinhaltet dieser Roman den Zusatz „Die Geschichte eines Mörders“, so viele wichtige Aussagen in sich, dann wäre „Das Parfum“ von Patrick Süskind nichts Besonderes. So aber ist dieser Roman mehr als ein Krimi und Gesellschaftsroman. Es ist ein Stück Weltliteratur geworden!

ISBN-10: 9783257065404
ISBN-13: 978-3257065404
erstmals erschienen 1985
319 Seiten
Diogenes Verlag

Montag, 6. Juni 2011

Jussi Adler Olsen - Erbarmen





ISBN: 978-3423212625
erschienen am 01. Februar 2011 (Taschenbuch)
erschienen am 01. Oktober 2009 (Broschiert)
420 Seiten
Deutscher Taschenbuch Verlag

Donnerstag, 2. Juni 2011

Tim von Lindenau - Die andere Seite des Waldes

Wir leben in einer der waldreichsten Gegenden. Für den Naturliebhaber ist das ein Segen, der Einfluss, den der Wald auf Flora und Fauna in unseren Gefilden ausübt von großer Bedeutung und Wichtigkeit. Dieses Buch verweist auf „Mythen und Märchen von Wesen, die unscheinbar und zurückgezogen an Orten wohnen, wo sie ungestört in Frieden und Ruhe leben können“. Wer sich im Wald befindet und auf Wasser stößt, der sollte verinnerlichen , dass Wasser ein „wichtiger Quell für alles Werden“ ist.  Und wer es genau wissen will, der bewegt sich auf allen Vieren über den Boden und findet den „Wald im Wald“. „Die andere Seite des Waldes“ hilft zu verstehen, welch großer Schatz bei uns um die Ecke zu finden ist und kapiert, wie wichtig es ist, den Wald zu schützen und mit Respekt zu behandeln.

Der Autor Tim von Lindenau schildert seine Erlebnisse, als er neun Monate am Stück im Schwarzwald gelebt hat. Über die Nahrung, die sich im Wald findet, über das Verhalten der Tiere, wenn der Mensch im Laufe der Zeit den Geruch des Waschmittels abgestreift und den des Waldes annimmt. Über die Ruhe und die Kraft, die der Flecken Erde ausstrahlen und auf den vom Alltag gestressten Menschen übertragen kann. Hier wird eine Sichtweise vermittelt, die vielen oberflächlichen, vom Konsum gesteuerten Menschen abhanden gekommen ist. Die Natur ist ein hohes Gut, der man allerhöchste Priorität einräumen sollte. Ein unüberwindbarer Riese, der uns die Leviten lesen kann und auch wird, sollten wir diesen Respekt verlieren.

Die 105 Seiten dieses großartigen Buches lesen sich in einem Stück durch, und am Ende lehnt man sich zurück und weiß, dass man soeben Zeuge eines an sich unspektakulären, aber großartigen Abenteuers wurde. Ein Tatsachenbericht, mit beeindruckenden Bildern unterstrichen, der uns klar macht, dass in unmittelbarer Nachbarschaft ein kaum an Spannung überbietendes Naturereignis tagtäglich stattfindet. Und zwar immer, zu jeder Zeit, in der Nacht ganz besonders. Nirgends kann man dem Alltag entfliehen, nur der Wald bietet genau das, was sich so viele Menschen wünschen. Das scheint mir die wichtigste Aussage dieses kurzweiligen Berichtes zu sein.

ISBN-10: 9783890602707
ISBN-13: 978-3890602707
Erschienen im März 2008
105 Seiten
Neue Erde GmbH

Frederick Forsyth - Der Afghane

Frederick Forsyth ist unstreitig ein Meister des Politthrillers. Und das schon seit vielen Jahren. Nach neuem Stoff muss er nie lange suchen, der Mann baut seine Romane stets um das aktuelle Geschehen auf. So auch im Jahr 2006, als Forsyths‘ „Der Afghane“ veröffentlicht wurde. Wenn man DEN PATRIOTISMUS schlechthin den Amerikanern unterstellt, dann verdeutlicht Forsyth dem Leser nur zu gerne, dass es neben den USA noch eine vermeintliche zweite Weltpolizei, nämlich Großbritannien, gibt. Der Autor ist ein Profi, wenn es um Geheimdienste und Unterhändler geht.

Gesicherte Hinweise deuten darauf hin, dass islamistische Terroristen einen Anschlag planen. Das Unternehmen heißt Al-Isra. Die CIA und der britische Geheimdienst arbeiten gemeinsam an der Aufklärung des Falles, um großen Schaden zu verhindern. Dazu ist es notwendig, Al-Qaida zu infiltrieren. Der Fallschirmjäger Steve Martin ist hierfür der richtige Mann, denn er verfügt über die notwendige Ausbildung, um als Doppelgänger eines Offiziers der Taliban und Guantanamo-Häftlings zu fungieren. 

Frederick Forsyth hat diesen Roman geschrieben, als Osama Bin Laden im afghanischen Gebirge noch gesucht wurde, wie die Nadel im Heuhaufen. Fast hat man den Eindruck, dass nur der Journalist und Publizist Peter Scholl-Latour dazu in der Lage wäre, uns mehr Detailwissen zum aufgezeigten Konflikt zu vermitteln. Denn in der ersten Hälfte dieses Werks wechseln die Geschehnisse atemberaubend und detailliert. Ein Labyrinth aus den verschiedensten Blickwinkeln, politisch brisant, hoch aktuell, ständig wechselnde Handlungsorte, ein grandioses Netzwerk, aus dem sich die Informationen zu einem Bild verbinden, die den Leser an die Hand nehmen, um bald Zeuge zu sein, wie das Gute über das Böse siegt. Das ist genau das, was man von Forsyth erwartet. Hohe Schule und einfach großartig. Immer wieder hat der Brite bewiesen, dass er genau DIESES Thema wie kaum ein anderer beherrscht.

Leider, sehr zu meiner Überraschung, verwandelt sich dieses Buch in der Folge zu einem rasant abgehandelten Drehbuch eines 0815-Actionthrillers. So sauber und detailliert alles vorbereitet ist, der Leser endlich alles genau überblicken kann, so dürftig, dünn und oberflächlich wird die Story zu Ende gebracht. Fast schon lieblos wird man mit kurzen und knappen Ausführungen zum Ende geführt. All das, was die erste Hälfte des Buches ausgemacht hat, wird nun zwar prägnant, doch kaum noch mit Tiefe aufrecht gehalten. Eine Lösung eines hoch komplexen Themas, eine gerade zu überwältigend ausgeklügelte Mission wird ausschließlich mit Klischee behaftetem Patriotismus im Schnelldurchgang abgehandelt. Zwar erfolgreich, doch in diesem Fall enttäuschend und nicht so, wie man es von einem Frederick Forsyth erwarten kann und muss. „Der Afghane“ ist höchstens Mittelmaß!

ISBN-10: 9783442467013
ISBN-13: 978-3442467013
erschienen am 29.11.2006 (als gebundene Ausgabe)
erschienen am  01.04.2008 (als Taschenbuch)
349 Seiten
Goldmann Verlag