Donnerstag, 23. Juni 2011

Arno Geiger - Der alte König in seinem Exil

Es stand schon lange fest, dass ich die Geschichte des österreichischen Schriftstellers Arno Geiger und seinem Vater August, der im Alter an Demenz erkrankt ist, lesen wollte. Und ich habe es nicht bereut. Was das Buch allerdings so lange auf der Spiegel-Bestsellerliste „Belletristik“ zu suchen hat, wird ein Geheimnis bleiben, denn es handelt sich ohne Frage um ein Sachbuch, eine Autobiografie.

Das Arno Geiger einen tollen Schreibstil pflegt, war mir seit „Alles über Sally“ klar. In „Der alte König in seinem Exil“ kommt noch ein kleiner Schuss an Emotion hinzu, berichtet der Autor aus seinem intimen Familienleben. Der Vater, der 26 Jahre im Gemeindeamt Wolfurt, Vorarlberg in Österreich, gearbeitet hat, kennt sich plötzlich im eigenen Haus, welches er vor 50 Jahren selbst geschaffen hat, nicht mehr aus. Die Ursache: Alzheimer Krankheit. Wir werden Zeuge, wie sich das Verhalten von August Geiger in über 10 Jahren andauernder Krankheit verändert und vor allen Dingen erfahren wir, welche enormen Auswirkungen diese auf das persönliche Umfeld, hier in erster Linie die Familie, hat. 

Arno Geiger beschreibt rückblickend und detailliert, wie er sich im Zuge des Erwachsenwerdens immer mehr von seinem Vater entfernte, und bedingt durch die Krankheit eine neue Freundschaft zu ihm schloss. Hochs und Tiefs bestimmen die lange währende Krankheit, doch das Wesentliche, was man aus diesem Tatsachenbericht ziehen kann, ist die Erkenntnis, dass der Umgang mit einem an Demenz erkrankten Menschen den Verstand schärft, und das Einfühlungsvermögen sowie Phantasie gefordert sind. Wer die Betreuung erfolgreich absolviert, der wird nicht zu Unrecht von Felix Hartlaub als ein „staatlich geprüfter Seiltänzer“ bezeichnet (Zitat s. S. 119). Der Vater lebt in seinem Exil, das heißt in seiner eigenen ungeordneten Welt, am liebsten an einem Ort, an dem er sich geborgen fühlt. In schwierigen Dialogen mit dem Erkrankten muss man sich daran erinnern, dass hier nicht mehr der Mensch, den man kennt, sondern die Krankheit mit einem spricht. Und genau dies führt sehr oft dazu, dass Betreuende schnell an ihre Belastungsgrenze geraten.

Insbesondere die aufgezeichneten Konversationen bringen ein bisschen Komik mit sich. Die Antwort hierfür liefert Arno Geiger auf S. 103 selbst. Wenn die Schwester die Zeilen des Skriptes liest, muss sie schmunzeln, merkt aber im selben Moment an, dass die Wirklichkeit ein Horror ist. Und noch eine mögliche Antwort liefert Arno Geiger in Bezug auf eine Entscheidung, die leider viele Angehörige früher oder später treffen müssen: Wenn eine Betreuung auf einem notwendigen Niveau nicht mehr möglich ist, und man die Entscheidung treffen muss, den Patienten in ein Pflegeheim zu geben, dann kann das einer persönlichen Niederlage gleichen. Und schließlich: Es ist die Aufgabe der Eltern, den eigenen Kindern etwas beizubringen. Das Letzte, was sie einem zeigen, ist, wie es ist, wenn man alt und krank ist.

„Der alte König in seinem Exil“ ist sicherlich berührend, interessant sowieso, aber es ist auch eine Art Lehrstück für unsere immer schneller, und daher auch oberflächlicher werdende Gesellschaft. Demenz ist bis dato nicht heilbar, sondern bleibt bis auf weiteres eine schwere Belastung. Als Quintessenz aus diesem Buch ist die Demenz aber auch eine Verpflichtung, sich daran zu erinnern, wem man viel zu verdanken hat. Ein trauriger, aber auch wichtiger Abschnitt aus einer Vater-Sohn-Beziehung!

ISBN-10: 9783446236349
ISBN-13: 978-3446236349
189 Seiten
erschienen am 07. Februar 2011
Carl Hanser Verlag GmbH

Am 29. April 2011 verstarb mein Patenonkel, der an schwerer Altersdemenz erkrankt war. Ruhe in Frieden!

2 Kommentare:

  1. Eine wunderbare Rezension.
    Ich habe es leider immernoch nicht geschafft Worte zu finden.

    Deine Rezi hat aber auch etwas dazu beigetragen, dass ich etwas besser mit dem Buch umgehe.
    Ich glaube ich habe mich da zu etwas verleiten lassen..

    Schön geschrieben!!

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  2. Hallo Karin,

    danke für Dein Lob. Du wirst die Worte noch finden! Ich bin gespannt...

    Viele Grüße,
    Jogi

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